Altensteiger Vokalensemble

VORWORT – GEDANKEN ZUM INHALT DES KONZERTS

Allein auf dem Klavier wirkt die Szene der Sturmstillung in der Vertonung Strohbachs tief beeindruckend. Das Tosen des Sees, in wilden Sechzehnteln notiert, die bedrängend imitatorisch - verzweifelten Rufe der Jünger erklingen in rauen Dissonanzen: „Meister, fragest du nicht danach, dass wir verderben?“ Plötzlich geschieht das Wunder. Der Sturm ebbt ab, es wird still – auch in der Musik. Die Seele findet Frieden.

Es ist das Wunderwirken Jesu in den Evangelienmotetten, das programmatisch für die Konzeption unseres heutigen Konzertprogramms ist. In dem rahmenden Psalm 98 - gleich zwei Mal in Musik gesetzt von Heinrich Schütz und abschließend von Hugo Distler - ist von diesen Wundern die Rede. „Denn er tut Wunder!“ Wunder, wie sie nicht jeder moderne Mensch mehr bedingungslos glauben und annehmen kann. Die Zeit der Wissenschaftlichkeit, der Szientismus der Neuzeit, lassen den Glauben an Wunder in der heutigen Wirklichkeitsauffassung zweifelhaft und strittig erscheinen. Gibt es noch die Alltagswahrnehmung sprengende bzw. durchbrechende Ereignisse, die man landläufig als Wunder bezeichnet?

Drewermann, einen tiefenpsychologischen Ansatz verfolgend, schreibt in seinem Buch Heilende Religion: „Je nach Einstellung und der eigenen Frömmigkeitshaltung wird man eine Wundererzählung wie diese von der Beruhigung des Sturms auf dem See sehr unterschiedlich aufnehmen. Es gibt die sozusagen dingliche, handfeste Auffassung, und es gibt die eher symbolische …“. Immer wieder werde man im Leben hin- und hergerissen zwischen Glück und Unglück; „ ... in dem einen Falle werden wir Gott auf den Knien danken, dass wir dem Unheil entrinnen durften und noch einmal davon gekommen sind, in dem anderen Falle werden wir aufschreien vor Not und Gott vorwerfen, dass er untätig schläft, statt sich um unsere Not zu kümmern, und wir werden mit dem Wehgeschrei unserer Angst und unseres Leids Gott wachzurufen versuchen ...“. so Drewermann weiter. Das Wunderwirken Gottes in Jesus verinnerlichen? Die geschilderte Notlage der Seesturm Szene zu einem Bild eigener Bedrängnisse werden lassen? Das Meer kann tragen und verschlingen, es kann zum Bild der eigenen Lebenssituation werden, so Drewermann. Es ist auch für den Evangelisten Johannes Bild des Lebens, ein Bild des Abgrunds, der Haltlosigkeit, des bodenlosen Hin- und Hergeworfenwerdens. In der einen wie der anderen Interpretation „… steht Gott uns ebenso unbegreifbar wie allmächtig gegenüber, ein ebenso zu fürchtender wie zu Dank verpflichtender Gott. …“, so Drewermann.

Deshalb „Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ Sie sind Zeichen, die kommunizieren, dass nichts so bleiben muss wie es ist. Kann und will ich damit rechnen, dass unerwartete Phänomene sich im eigenen Lebensvollzug ereignen? Am Ende kann man von den Subjekten der Wundererzählungen lernen, im Gebet dankend und bittend – auch um Rettung – sich an Gott wenden zu dürfen. Daher beschließen Gebete das Konzert. Auch bei mir erklingt die hoffnunggebende Bitte: „Herr Christe, tu mir geben, was ich nicht nehmen kann, deinem Wort fest zu glauben, ….“. Andere mögen am Ende stärker hören: „Unser täglich Brot gib uns heute“! Gib uns das, was wir zum Leben brauchen. Wir wünschen Ihnen einen guten Konzertabend. Wir wünschen Ihnen, dass Sie in stürmischen Zeiten zum Frieden gelangen – vielleicht auch oder gerade in den Momenten des Hörens.

Quelle: Eugen Drewermann, „Heilende Religion“

Wolfgang Weible,
Chorleiter